Sachsens neue Nummer eins

Marlene Herrmann zieht unter die Top 100 der deutschen Tennisspielerinnen ein und bricht damit einen langen Bann.

von Rolf Becker, Sächsische Zeitung

Das ist tatsächlich ein Grund zum Feiern. Auch, weil leider nicht alltäglich. Bereits unglaubliche zehn Jahre ist es her, dass eine sächsische Tennisspielerin in der deutschen Rangliste unter den Top 100 steht. Lydia Steinbach – damals noch in Diensten des TC Blau-Weiß Blasewitz, heute 35-jährige Trainerin – schaffte es damals bis auf Platz 14. Und hat erst zehn Jahre später eine Nachfolgerin, die es auf ein ähnliches Niveau schaffen kann.

Die Blasewitzerin Marlene Herrmann brach den zehnjährigen Bann sächsischer Tennisfrauen um den exklusiven Zirkel in der nationalen Tennisszene. Die 17-Jährige taucht in der neuen Frauenrangliste auf Platz 95 auf (bei der U18 auf Rang neun) – im Vorjahr stand sie noch auf Rang 182. Ein phänomenaler Sprung. Der aber zugleich den immer noch riesigen Rückstand der ostdeutschen Racket-Spieler auf ihre Kollegen aus den alten Bundesländern offenbart. Für den kann natürlich Marlene Herrmann nichts. Aber die DDR-Sportgewaltigen, die den weißen Sport 1968/69 aus der Leistungssportförderung tilgten und die Entwicklung des damals noch nicht olympischen Rückschlagsports weitestgehend hemmten.

Diesem verordneten Entwicklungsrückstand hinkt das ostdeutsche Tennis noch heute hinterher. Insofern ist der gewaltige Sprung von Marlene Herrmann beinahe schon eine kleine Sensation. Findet auch die 17-jährige Sportschülerin selbst. „Die Top 100 waren mein Ziel im vergangenen Jahr, aber ich hätte nicht damit gerechnet, dass ich das auch erreiche“, sagt Marlene Herrmann. „Das will ich natürlich bestätigen“, betont das Talent mit den unglaublich langen Haaren. Dreifache Landesmeisterin Sachsens ist sie bereits – jeweils in der Halle. Geld verdienen kann sie mit dieser Ranglistenposition freilich nicht. Noch nicht. Zum Vergleich: die deutsche Nummer eins, Angelique Kerber (Regensburg), hat in ihrer Karriere bislang ein Preisgeld von 9,185 Millionen US-Dollar eingespielt. Die deutsche Nummer zehn, Anna-Lena Friedsam (Ludwigshafen) knapp 550 000 US-Dollar.

Tattoo bestärkt den Glauben

 

Marlene Herrmann muss derzeit eher noch investieren. Oder vielmehr ihre Eltern. „Ich will auf jeden Fall mit Tennis mein Geld verdienen. Das ist das große Ziel“, sagt Marlene Herrmann und guckt dabei so entschlossen, wie es ihre weichen braunen Augen hergeben. Ihr Tattoo am rechten Oberarm soll sie darin bestärken: „Kämpfen“ und „glauben“ hat sich Herrmann in englischer Sprache unter die Haut stechen lassen. „Meine Eltern unterstützen mich sehr und stehen bei allem, was ich tue, voll hinter mir“. Vor zweieinhalb Jahren hat sie den Schritt von ihrer Heimatstadt Halle an der Saale nach Dresden gewagt. Zum ostdeutschen Vorzeigeklub nach Blasewitz. „Hier sind die Perspektiven und das Training besser“, sagt der Schützling von Landestrainer Thomas Völker und Christian Haupt.

Schon in Halle ging sie an die Sportschule, aber nicht offiziell als Tennisspielerin, sondern als Handballerin. „Tennisspieler können in Halle nicht ans Sportgymnasium“, erklärt die 1,72 m große Athletin. In Dresden kann sie nun als Tennis-Aktrice auch früh trainieren und darf zudem noch im Profilsport mit dem Schläger ihre Stärken aus- und ihre Schwächen abbauen. „Es ist auf jeden Fall so, dass es deutliche Unterschiede in der Spielstärke zwischen west- und ostdeutschen Spielerinnen gibt“, sagt Marlene Herrmann.

„Ich glaube aber, dass ich hier nahezu optimale Bedingungen habe, ich trainiere ja schon sieben- bis achtmal pro Woche. Mehr wäre gar nicht drin oder nicht sinnvoll“, erklärt die gebürtige Hallenserin. Aber die meisten ihrer Westkonkurrentinnen müssen im Winter nicht „eine Stunde bis zu ihrer Halle fahren“, wie Herrmann glaubt. Sie fährt in diesen Tagen meist mit dem Bus nach Pappritz. „Ich will mein Abitur gut abschließen, es muss ja noch einen Plan B geben. Man kann sich immer mal verletzen“, weiß die Sportschülerin. An diesem Plan B feilt Sachsens Nummer eins ab kommendem Sommer in Übersee. Herrmann will studieren. Und hat sich deshalb für ein Sportstipendium in Birmingham im US-Bundesstaat Alabama beworben.

Ab September 2016 ist Herrmann also vorerst in Amerika. „So kann man Studium und Sport ideal kombinieren. Hier hätte ich wahrscheinlich nicht die Möglichkeit, in diesem Umfang weiter Tennis zu spielen“, betont Herrmann. Sie will für Blasewitz dann im Sommer die Punktspiele in der Regionalliga absolvieren.

Das soll sie auf dem Weg zum Profi nicht aufhalten. Im Gegenteil. „Man muss immer weiterspielen, besser sein und mehr trainieren als die anderen“, redet Marlene Herrmann über ihr Rezept. Rückschläge hat sie schon erlebt. Aber mit denen weiß sie umzugehen. Nicht zuletzt dank des Leipziger Mentaltrainers Henning Thrien, den ihre Eltern außerhalb des normalen Tennistrainings auf Honorarbasis entlohnen. „Ich trainiere das Verhalten zwischen den Punkten, Denkweisen in verschiedenen Situationen. Wir sprechen sehr viel. Über diverse Taktiken, die man mental im Kopf anwenden sollte. Dann probieren wir das auf dem Platz“, erzählt sie. Seit knapp anderthalb Jahren lässt sich Marlene Herrmann auf diese Art und Weise stärken.

Zudem will sie künftig variabler spielen. „Ich spiele ziemlich stetig. Manche Schläge sieht man bei mir nie“, betont sie kritisch. Vielleicht bestärkt sie ihr Motivations-Video, das sie vor wichtigen Partien anschaut, in einer neuen Vielseitigkeit. Rüpel-Rapper Bushido textet da: „Alles wird gut“. Es gebe sicher weniger zutreffende Liedzeilen. „Ansonsten höre ich so etwas überhaupt nicht“, fügt sie entschuldigend an.

„Ich bin kein Party-Girl“

 

Dass ihr das Kopftraining hilft, spürt die Wahldresdnerin vor allem in Drucksituationen. „Ich kann viel besser damit umgehen als bisher. Wo ich mich früher über Punktverluste geärgert habe, gehe ich heute ganz anders damit um. Ich bin einfach selbstbewusster, trotz Fehlern“. Bewusst, fast schon zu erwachsen, klingt auch ihre Aussage über das Teenagerleben nach dem Feierabend. „So viel Freizeit habe ich ja nicht. Meistens fahre ich dann nach Hause. Feiern gehe ich eher selten“, sagt sie und schiebt noch einmal bekräftigend nach: „Wirklich.“ Die Gründe klingen nachvollziehbar und authentisch erklärt: „Erstens kann ich nicht tanzen“, erklärt sie lachend, „und Alkohol trinken muss nicht wirklich sein im Leistungssport. Ich war auch schon mal feiern“, schiebt sie aber nach. Vielleicht gibt es demnächst auch einige sportliche Gründe mehr für eine kleine Party.

Bei den Männern ist Herrmanns Klubkollege, der 23-jährige Peter Heller auf Position 29 als bester Athlet eines sächsischen Vereins gelistet. Heller lebt im oberpfälzischen Cham. (mit bec)

 

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